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Nachdem der Bundesgerichtshof im Oktober 2023 zwei Urteile zur Frage des Widerrufes eines Rentenversicherungsvertrages erlassen hat (IV ZR 41/22 und IV ZR 41/22), überlegen vielleicht auch Sie, ob auch Sie Ihren Rentenversicherungsvertrag heute noch wirksam widerrufen können.

Bei diesen Überlegungen ist von wesentlicher Bedeutung, welche Fassung des Versicherungsvertrags­gesetzes (VVG) zur Zeit des Vertragsschlusses galt.

Das VVG trat ursprünglich 1908 in Kraft und wurde 1991 sowie zum 01.01.2008 umfassend reformiert. Die Änderungen betrafen auch das Widerrufsrecht. In der bis zum 31.12.2007 gültigen Fassung war es in § 5a VVG geregelt, in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung in § 8 VVG. Die beiden Regelungen weisen ganz erhebliche Unterschiede auf. Vor allem sind Versicherer ab dem 01.01.2008 verpflichtet, in neuen Verträgen umfassend über das Widerrufsrecht zu informieren. Anders als nach § 5a VVG alte Fassung muss nun gem. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VVG vor allem auch über die Rechtsfolgen des Widerrufs informiert werden. Wie so häufig – z.B. auch bei den Wuderrufen von Kreditverträgen – führten gesetzliche Änderungen zum Widerrufsrecht dazu, dass es zumindest in der Anfangszeit  versäumt wurde, die  neuen Regelungen ordnungsgemäß umzusetzen. Daraus ergibt sich vor allem für ab dem 01.01.2008 geschlossene Versicherungsverträge in vielen Fällen ein Widerrufsrecht auch heute noch.

In der Rechtsprechung sind  für die Möglichkeit eines heute noch wirksamen Widerrufs im Wesentlichen folgende Kriterien als relevant herausgearbeitet worden:

  1. Widerruf von Verträgen, die in der Zeit vom 01.01.1991 bis zum 31.12.2007 geschlossen wurden

Die Rechtsprechung* sieht einen Widerruf dann als auch heute noch zulässig an, wenn

  • der Hinweis auf das Widerspruchsrecht drucktechnisch nicht (vollständig) hinreichend deutlich erfolgte und/oder
  • für den Widerspruch war die Schriftform als notwendig angegeben und nicht wie seit dem 01.08.2001 in § 5a VVG a.F. vorgesehen die Textform ausreichend und/oder
  • der Beginn und die Dauer der Frist nicht korrekt wiedergegeben waren.

Folgendes ist hierbei zu beachten: Zwar hat der EuGH klargestellt, dass die Regelung des § 5a Abs. 4 VVG a.F. (spätestens ein Jahr nach Vertragsabschluss soll die Möglichkeit zum Widerspruch ausgeschlossen sein) nicht wirksam sei. Allerdings hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 15.02.2023 – IV ZR 353/21 – Rn. 14, jedenfalls bei einem nur leichten Fehler der Belehrung trotz deren Fehlerhaftigkeit nach § 5a VVG a.F. (kein Hinweis auf mögliche Textform des Widerrufes) das Recht zum Widerruf aufgrund der Jahrelangen Durchführung des Vertrages nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) für verwirkt erachtet.

  1. Widerruf von Verträgen, die ab dem 01.01.2008 geschlossen wurden

Bei diesen Verträgen kommt ein Widerruf – entsprechend den Entscheidungen des BGH vom 11.10.2023** – vor allem dann auch heute noch in Betracht, wenn die Widerrufsbelehrung entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 2 VVG keine Informationen über die Rechtsfolgen des Widerrufs enthält.
Auch hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass Gerichte durchaus einen Widerruf nach jahrelanger Durchführung für verwirkt ansehen können.

Gern berate ich Sie zu der Frage, ob bei Ihrem konkreten Versicherungsvertrag ein Widerruf noch möglich sein sollte.

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So insbes.:
BGH, Urteil vom 14.10.2015 IV 284/12 – Rn 12 (WiBe unvollständig, inhaltlich falsch, drucktechnisch nicht hinreichend hervorgehoben)
BGH, Urteil vom 14.10.2015 – IV 211/12, Rn 15 – (falscher Hinweis auf Schriftform)
BGH, Urteil vom 23. März 2016, IV ZR 202/14, Rn. 16
BGH, Urteil vom 29. Juli 2015,  IV ZR 448/14, Rn. 17 –
OLG Hamm Beschluss vom 26.06.2015 – 20 U 48/15, Rn. 22 ff.
OLG Düsseldorf 01.10.2021 – 4 U 64/19, Rn. 40 f. (nur Schriftform)

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So insbes.:
BGH, Urteil vom 11.10.2023 – IV ZR 40/22, Rn. 21 f.
BGH, Urteil vom 11.10.2023 – IV ZR 41/22, Rn. 14 und 32 (Bezug auf § 8 VVG)